Donnerstag, 30. April 2015

Was uns eine Facebook-Diskussion über die Schwächen der "modernen" Bibelauslegung sagt ...

Facebook kann ja gleichermaßen beides sein: Fundgrube und Müllhalde. Ein Fundgrube, zeitweise auch für Erkenntnisse, die man so gar nicht gewinnen wollte, aber die trotzdem erhellend sind.
In diesem Fall geht es zunächst um einen "Worthaus"-Vortrag des evangelischen Theologieprofessors Dr. Siegfried Zimmer, in dem es um die "schwule Frage" ging.
Darin verwies Zimmer unter anderem auf die Diskriminierung, die Ächtung und teilweise auch die physische Gewalt, die in "frommen" Kreisen (was immer er auch damit meint) gegenüber Homosexuellen geübt wurde. Und er stellt sich die Frage, wie es denn wäre, wenn diese Frommen mal über ihr eigenes Unrecht den Homosexuellen gegenüber weinen und Buße tun würden.
Bis hierher gar nicht mal so falsch. Es IST Fakt, dass viele Homosexuelle, gerade in den USA, Diskriminierung, Beleidigungen und teilweise Gewalt erfuhren von Leuten, die eigentlich anderen mit der Liebe Christi begegnen sollten.
Zimmer geht indes noch weiter und fordert, dass die Bibel nicht länger als Beleg für eine angebliche Sündhaftigkeit der Homosexualität gebraucht werden dürfe; schließlich gäbe es nur 5 Bibelstellen, die auf den ersten Blick negativ über Homosexualität reden, und diese würden sich auflösen, wenn man ihren Kontext betrachtet etc etc ...

Auf Facebook gab es zu diesem Podcast eine längere Diskussion, die sich nach einem Posting von Johannes Hartl entwickelte (sein Posting wurde auch bei kath.net abgedruckt; hier der Text). Ich nehme an solchen Diskussionen schon länger nicht mehr teil, es ist mir einfach zu ermüdend, immer wieder bei denselben Themen dieselben Argumente auszutauschen und dann irgendwann persönlich zu werden (was hier Gott sei Dank nicht geschehn ist). Ich hab ja schließlich auch ein Leben außerhalb von Facebook.

Was mir vielmehr zu denken gibt, ist die Erosion des protestantischen Schriftverständnisses (falls es so etwas überhaupt noch gibt). Es sieht so aus, als hätte sich auch die kontemporäre Theologie in protestantischen Kreisen vom "sola scriptura" verabschiedet, nur, dass sie als bestimmendes oder autoritatives Moment über die Bibel ihren eigenen Verstand und den jeweiligen gesellschaftlichen Mainstream setzt. Die Art und Weise, wie argumentiert wurde, ließ jedenfalls darauf schließen (die Menschheit entwickelt sich ja weiter ... Wir können nicht nach einem 2000 Jahren alten Regelsystem leben ... Wir tragen ja Kleidung aus Mischgewebe ...).

Wenn biblische Aussagen per se zur Disposition stehen, was ist denn dann überhaupt noch verlässlich? "Liebe" würde es mir entgegenschallen. "Alles muss sich an der Liebe messen lassen, wenn es dazu nicht passt, ist es nicht von Gott". Das ist gar nicht mal so falsch, aber in der Art und Weise, wie der Begriff verstanden wird, auch nicht richtig. Die Liebe, in der Gott uns begegnet, heißt eben nicht laissez-faire. Liebe heißt nicht: "Tu was du willst, so lange es Spaß macht, umweltverträglich und nicht politisch rechts ist!" Die Liebe Gottes zu uns Menschen ist es, die Christus ans Kreuz bringt. Die Liebe Gottes zu seinem Volk ist es, die ihn zu teilweise harten Korrekturmaßnahmen bewegt. Aus Liebe zu meinen Kindern erlaube ich ihnen nicht alles, was sie wollen.

"Wenn dein Wort nicht mehr soll gelten, worauf soll der Glaube ruh'n"? So sang es Nikolaus Ludwig von Zinzendorf. Natürlich ist das Wort Gottes in den jeweiligen gesellschaftlichen und zeitgeschichtlichen Kontext zu übertragen. Natürlich leben wir in einem anderen Umfeld als Nomadenstämme vor 4000 Jahren. Natürlich stellen sich bei uns im Bereich der alltäglich gelebten Ethik Fragen, die es so vor tausenden von Jahren noch nicht gab. Aber es ist ein Unterschied, ob ich versuche, eine Wahrheit für meine Zeit und Umgebung verstehbar, lebbar und er-lebbar zu machen - oder ob ich sie einfach für ungültig erkläre. Oder, wie im Beispiel der Historisch-kritischen Exegese, einfach sage, dass alle Christen es 1900 Jahre lang falsch verstanden hätten, bis einige Theologen im 20. Jahrhundert endlich den richtigen Durchblick hatten. Schon klar!

Ich stelle jedenfalls fest, dass man sich, wenn man ein orthodox protestantisches Schriftverständnis vertritt, sich in den Diskussionsforen sozialer Netzwerke warm anziehen muss ...

1 Kommentar:

  1. Hallo, ich denke schon, dass man die Bibeltexte in ihrer historischen Umgebung betrachten muss. Dann können sie erst ihre ganze Kraft entfalten. Und das Thema Familie, von dem wir heute ein bestimmtes Bild haben, wurde damals ganz anders gesehen. Ich denke, nur das wollte Hr. Zimmer als Grundlage seiner Argumentation erläutern.

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